Sonntag, 2. Juni 2013

Versuche nicht zu versuchen

Liebe Leserinnen und Leser,

es gibt noch eine Sache, die ich quasi als Vorbereitung thematisieren möchte, bevor ich zu dem Thema komme, von dem ich weiß, dass einige schon gespannt sind, darüber zu lesen.

Ich möchte heute über das Wort "versuchen" bzw. "Versuch" schreiben. Es gibt in Star Wars IV - Eine neue Hoffnung eine Szene, in der Meister Yoda und der junge Luke Skywalker in diesem Moorgebiet sind oder wie auch immer man es bezeichnen soll. Lukes Raumschiff ist dort unter gegangen und Yoda gibt ihm als aufgabe, es nur mit Hilfe der Macht, durch die Kraft seiner Gedanken heraus zu holen. Luke sagt, er wird versuchen. Daraufhin sagt Yoda seinen mittlerweile berühmten Spruch: "Tu es oder tu es nicht. Es gibt kein versuchen."

Viele wissen, wie ich zu dem Wort "versuchen" stehe. Wer es noch nicht weiß und das Wort "versuchen" in meiner Anwesenheit benutzt, dem richte ich gewöhnlich schöne Grüße von Meister Yoda aus. Manche finden nichts schlimmes an dem Wort. Sie sagen: "Wenn man nicht weiß, ob die Sache funktioniert oder nicht, kann man doch sagen, dass man versucht." Kann man? Entweder funktioniert es oder nicht. Wenn man versucht und es gelingt, hat man es geschafft. Wenn man es versucht und scheitert, ist man gescheitert. Das ist in beiden Fällen eine klarere Position als "versuchen". Ich denke, Meister Yoda hat Recht. Entweder geht die Sache positiv aus oder negativ. Dagegen ist "versuchen" eine unsichere Position zwischen beiden und im Grunde doch unnötig. Sagen wir, jemand ist unsicher ob eine Sache gelingt oder nicht, aus welchen Gründen auch immer. Trotzdem braucht diese Person nicht versuchen. Es wäre gerade wegen der Unsicherheit positiver und besser, mit "Ich mache es." an die Sache zu gehen. Wenn etwas noch nicht ganz in Ordnung ist und es deshalb scheitert, dann scheitert es sowieso. Etwas mehr Selbstbewusstsein bitte! Eine positive Einstellung bringt viel für ein gutes Gelingen.

Etwas zu versuchen bedeutet außerdem Widerstand, dass etwas schwer ist. Ja, etwas neues zu wagen kann schwer sein. Ich bleibe trotzdem dabei: wer mit einer positiven Einstellung an die Sache herangeht, hat bessere Chancen, dass sie gelingt. Und etwas, was zum Scheitern verurteilt ist, wird auch mit der positivsten Einstellung scheitern. Es gibt also keinen Grund, das Scheitern praktisch schon vorwegzunehmen. In letzter Zeit erzähle ich Leuten von dem blauen Elefanten und sage ihnen: "Wenn du negativ denkst, hast du den blauen Elefanten im Kopf und das möchtest du doch nicht, oder?" (Nebenbei: das ist eine Refrainfrage! Siehe vorherigen Blogeintrag.)

Ich habe "versuchen" praktisch aus meinem Wortschatz gestrichen. Es gäbe nur eine einzige Ausnahme, bei der ich das Wort ganz bewusst benutzen würde und wo es höchst effektiv ist. Wenn man möchte, dass etwas nicht gelingt. Vor allem bei Hypnose bietet sich das an. Zum Beispiel wenn der Arm nicht bewegt werden soll, also Katalepsie, könnte ich sagen: "Versuche mit aller Kraft deinen Arm zu bewegen."

Wo wir schon bei Hypnose sind, noch etwas zum Thema Scheitern im Zusammenhang mit Therapie und generall schweren Zielen: eine Therapie bedeutet Arbeit und Rückschläge. Manchmal funktioniert es nicht ganz, wie sich der Therapeut und vor allem der Patient es sich wünschen. Oder auch gute Vorsätze wie schlanker werden, mit dem Rauchen aufzuhören und ähnliches scheinen völlig zerstört beim ersten größeren Essen oder der ersten Zigarette nach einer Phase ohne. Mir persönlich fehlt die Qualifizierung als Therapeutin, daher kann ich keine Therapie anbieten. Ich würde aber jedem Therapeuten ans Herz legen, Rückschläge schon vorwegzunehmen und früh in der Therapie anzusprechen. Paradox? Erst schreibe ich davon, nicht das Wort "versuchen" zu benutzen und jetzt rate ich sogar ausdrücklich dazu, Scheitern bzw. Rückschläge in der Therapie anzusprechen bevor sie passieren? Ja! Unbedingt! Sagen wir, jemand ist depressiv. Es kann immer mal Tage geben, an denen sich die Person schlecht fühlt. Das passiert auch nicht depressiven Menschen. Wenn der Therapeut die Möglichkeit von schlechten Tagen gar nicht anspricht, könnte sich die Person als völligen Versager fühlen. Besser wäre es, die schlechten Tage ausdrücklich anzusprechen und zum Teil des Therapie Prozesses zu erklären: "Sie werden sich ein oder zwei Tage mal schlecht fühlen." Was ist, wenn die Person sich dann einmal schlecht fühlt? Na, dann ist es okay. Der Therapeut hat ja gesagt, ich werde mich ein oder zwei Tage mal schlecht fühlen. Kein Problem. Was, wenn die Therapie beendet wird und der Patient keine Depression mehr hat und keine schlechten Tage hatte? Um so besser! Dann kann die Person stolz sein, weil sie besser ist als sogar der Therapeut offenbar vermutet hatte, der vorausgesagt hat, dass es ein oder zwei schlechte Tage geben würde. Die simple Vorwegnahme schlechter Tage gibt dem ganzen eine andere, ja positivere Sichtweise!

Übrigens sagte der irische Schriftsteller Samuel Beckett über Scheitern folgendes: " Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Try again. Fail again. Fail better.)

Bis zum nächsten Blog,

sarah