Dienstag, 24. März 2015

Alltagshypnose

Liebe Leserinnen und Leser,

es gibt selbst unter Fachleuten immer wieder Diskussionen, was Hypnose ist und was Trance ist. Viele, auch Hypnotherapeuten, reden mit Klienten oder Neulingen davon jemanden „in Hypnose zu versetzen“. Ich selbst stimme eher Milton Erickson zu, der einmal schrieb, dass Trance ein Bewusstseinszustand ist und Hypnose der Weg oder die Methode dort hin. James Tripp wiederum ist bekannt für seine „hypnosis without trance“.

Ich glaube, in einem dürften sich die meisten Leute einig sein: nämlich dass dieser veränderte Bewusstseinszustand, ob wir ihn nun Trance oder Hypnose nennen, ein alltägliches Phänomen darstellt. Für diesen Bewusstseinszustand braucht es nicht einmal zwingend eine zweite Person und nicht unbedingt Worte. Im Folgenden möchte ich ein paar typische Beispiele beschreiben und was für ein Phänomen dahinter stecken.

Ein typisches Beispiel für Amnesie, also Gedächtnisverlust, ist wenn man von einem Ort zu einem anderen fährt und am Ziel angekommen, keine Erinnerung mehr daran hat, wie man dort hin gekommen ist. Ich meine nicht, dass man vergessen hätte, ob man mit dem Auto oder Bus gefahren ist, sondern Details über die Strecke oder Vorkommnisse auf dem Weg. Irrelevante Details werden ausgeblendet.

An einem Arbeitstag bei der Alzheimer Gesellschaft (ausgerechnet dort!) erlebte ich auch einmal, dass mehrere Kollegen zu unterschiedlichen Zeitpunkten in den Raum kamen und obwohl nichts und niemand sie unterbrochen hatte in ihrer Handlung, kamen sie rein und stockten sofort mit einem verzweifelten Blick und der Frage: „Was wollte ich hier?“ Oder: „Warum bin ich hier?“ Obwohl die anderen Anwesenden sie nicht unterbrochen haben, hatte etwas oder jemand auf dem Weg sie in ihren ursprünglichen Gedanken gestört, die sie zu diesem Raum geführt hatten. Der ursprüngliche Gedanke war überdeckt von anderen und damit der Grund in den Raum zu kommen vergessen.

Die bereits im vorigen Eintrag erwähnte Augenfixation erfordert unbedingt eine glänzende Scheibe als Fixierpunkt, genau so wenig wie eine pendelnde Taschenuhr. Vor allem Kinder können ganz einfach durch eine brennende Kerze genau so gut in sich versinken. Ich selbst musste einmal bei einem Arzt über drei Stunden im Wartezimmer warten. Zeitschriften waren zwar ausgelegt und ich hatte auch ziemlich sicher ein Buch dabei, aber ich starrte nur auf die Wand gegenüber von mir und hoffte bloß inständig, dass ich noch genug anwesend war und schnell genug reagieren würde, wenn ich endlich einmal aufgerufen würde. Da ich mich bewusst nur wenig später wieder aus diesem Zustand heraus holte, verpasste ich meinen Aufruf tatsächlich nicht. Alles, was ich brauchte war einen Punkt und die Wand hatte nichts besonderes an sich, sie war schlicht weiß. Man wählt nur oft gerne einen leuchtenden oder glitzernden Punkt, weil dieser wohl eben durch die Helligkeit auffällig ist.

Immer wieder kann es auch passieren, dass wir einen blauen Fleck an uns entdecken, aber keine Erinnerung mehr daran haben, uns gestoßen zu haben. Das ist nichts anderes als Schmerzkontrolle, Anästhesie und damit Trance bzw. Hypnose. Das gilt auch für die Möglichkeiten der Schmerzkontrolle, die ich bereits in einem vorigen Eintrag erwähnt hatte, auch wenn ich in diesem Eintrag bewusst auf die Worte Trance und Hypnose verzichtete.

Zwei Phänomene sind bei Kindern sehr typisch und sollten, meiner Meinung nach, weil es sich um Kinder handelt, nicht all zu negativ oder böse gesehen werden. Das eine ist positiv halluzinieren: das heißt etwas zu sehen, was nicht real existiert. So wird beispielsweise immer wieder von Kindern berichtet, die „unsichtbare Freunde“ haben. Eine Umkehrung des Phänomens wäre das negativ Halluzinieren: besonders ärgerlich, wenn man zum Beispiel gerade wegfahren will und seine Hausschlüssel oder Autoschlüssel nicht findet, viele Male einen Tisch nach ihnen absucht und nach vielen vergeblichen Versuchen steht man nun wieder vor dem Tisch und plötzlich sind die Schlüssel ganz offen und deutlich sichtbar auf dem Tisch. Warum haben wir sie vorher nicht gesehen?

Doch das negativ Halluzinieren ist nicht nur beschränkt auf das Sehen. Zum Ärger der Eltern sind Kinder manchmal derart in ihrer Welt versunken, dass sie die Rufe der Eltern gar nicht hören. Das ist nicht unbedingt böswilliges Weghören, sondern kann auch einfach ein Zeichen sein, dass die Kinder so tief versunken sind in ihre Aktivitäten, dass alle Reize, die nicht unmittelbar zur Aktivität gehören ausgeblendet werden. Liebe Eltern: das ist ein normales Phänomen! In diesem Zusammenhang ist bei vermeintlich häufig trotzigen Kindern festzustellen, ob sie sich bewusst verweigern als Verhaltensproblem, Hörprobleme haben oder versunken in ihre Aktivitäten sind und dadurch nicht hören. Die Reformpädagogin Maria Montessori beschrieb das Phänomen von Kindern, die völlig versunken sind und wo andere deutlich laute Kinder diese sie in keiner Weise ablenkten oder störten. Soweit ich weiß hat Montessori dabei nie von Hypnose oder Trance geschrieben oder gesprochen. Wobei ich nur einige Grundprinzipien ihrer Gedanken im Studium kennen lernte. Den Begriff, den Montessori benutzte für diesen konzentrierten Bewusstseinszustand ist „flow“.

Buchliebhaber und Filmfans wissen, wie bei einem guten Buch oder Film sehr schnell Stunden vergehen können, die wie Minuten erscheinen. Zeitverzerrung ist auch ein typisches Trance- bzw. Hypnose-Phänomen. Leider nutzen wir dieses Phänomen oft nicht zu unseren Gunsten aus. Damit verfliegen schöne Momente viel zu schnell und Situationen, die wir am liebsten schnell hinter uns bringen wollen ziehen sich wie Kaugummi. Es gibt Möglichkeiten, die Wahrnehmung zu unseren Gunsten zu manipulieren. Nicht nur, dass uns warm sein kann, wenn es objektiv kalt ist oder umgekehrt, auch unsere Wahrnehmung der Zeit können wir bewusst beeinflussen. Wir müssen nur herausfinden, wie unsere individuelle Zeitwahrnehmung funktioniert und durch welch Faktoren sie beeinflusst wird.

Einer meiner Lieblingsphänomene ist die „Ampel-Trance“, wie ich sie nenne. Eine Reihe Autos steht an der roten Ampel. Alle starren auf die Ampel und wenn die Ampel umspringt ist unweigerlich immer mal auch ein Autofahrer dabei, der nicht umspringt. Das merken wir daran, dass ein Fahrer der hinteren Autos dann ungeduldig hupt. Auch hier ist die bereits erwähnte Augenfixation „Schuld“ daran.

Ich hoffe, ich konnte ein wenig deutlich machen, dass Trance bzw. Hypnose etwas normales, sogar alltägliches ist. Oft benennen wir es nur nicht mit diesen Begriffen. Ich würde mir wünschen, dass die Menschen weniger Angst vor den Begriffen und Phänomenen haben, die mit Trance und Hypnose verbunden sind. Leider denken noch heute viele, dass Hypnose etwas mit Kontrollverlust zu tun hat und man damit zum bösen Verbrecher wird oder bei Hypnose-Shows sich völlig lächerlich macht. Hypnose ist weitaus mehr als das. Vor allem ist es etwas völlig normales. Die von mir hier genannten Phänomene sind nur ein paar Beispiele. Vielleicht fallen euch selbst Situationen ein, die ihr erlebt habt. Wenn ihr sie mitteilen wollt, schreibt einen Kommentar. Ich würde mich freuen von euch zu lesen.

Bis zum nächsten Blog,
sarah

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