Montag, 31. Dezember 2012

Was haben alte Kochbuchrezepte, die Bibel und Troja gemeinsam?

Liebe Leserinnen und Leser,

heute nach dem Abendessen saßen wir noch zusammen und das Gespräch kam auf Kochen und Rezepte. Mein Vater erwähnte, dass wir noch ein altes Rezeptebuch seiner Mutter hätten, dass sie vor gut 60 Jahren gesammelt und geschrieben hat.

Meine Schwester meinte, dass sie Rezepte gesehen hat, wo bestimmte Teigsorten als Teil des Rezeptes aufgeführt wären, ohne Anleitung, wie man den Teig macht. Das Wissen, wie man den Teig macht, war vorausgesetzt.

Mein Vater meinte daraufhin, dass er einmal gehört hätte, man hätte lange Zeit nicht gewusst, wo Troja lag. Alte Karten oder Beschreibungen gab es nicht. Als Troja existierte, wusste das jeder einfach so. Meine Schwester konnte erst nicht so recht glauben, dass die Leute aus neuerer Zeit erst gar nicht wussten wo Troja lag.

Als ich die beiden so reden hörte, fiel mir das Buch über die Evangelien ein, das ich meinem Vater vor einigen Tagen gegeben hatte. Ein Problem, was wir heute haben, wenn es um Deutung oder Interpretation der Bibeltexte geht ist, dass einiges davon als Wissen damals einfach bekannt war und als bekannt vorausgesetzt wurde. Deshalb brauchten die Prediger und Propheten sich nicht viel erklären und konnten bestimmte Worte einfach benutzen und jeder wusste bescheid. Ich erklärte das den anderen und wir waren uns einig, dass in allen drei Fällen in ihrer Zeit Wissen als bekannt vorausgesetzt wurde und (unter Umständen) in der neueren Zeit heute erst wieder entdeckt werden musste. (Meine Schwester hat vorgesorgt, indem sie in einem ihrer Rezeptbücher Grundlagenrezepte aufgeschrieben hat.)

Bis zum nächsten Blog,

sarah

Sonntag, 16. Dezember 2012

Ericksonisches Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenk

Liebe Leserinnen und Leser,

Sidney Rosen hat in seinem Buch Die Lehrgeschichten von Milton H. Erickson eine Geschichte ("Schwielen"), die von einem Bauarbeiter handelt, der gestürzt war und seither völig gelähmt unter Schmerzen litt. Er fragte Erickson, was er tun könnte. Erickson meinte, dass es nicht viel sei, was er tun könnte. Sich Schwielen an den Schmerznerven entwickeln, dann würde er den Schmerz nicht so stark empfinden. Erickson schlug ihm vor, Comics, Witze und lustige Aussprüche zu sammeln und Hefte daraus zu machen, um sie Kollegen, wenn sie im Krankenhaus wären, zu geben. Das war auch, was der Mann dann machte.

Das war auch, was ich letztes Jahr einer meiner Tanten machte mit einer mühsam zusammen gesammelten Sammlung von Comics mit Snoopy von den Peanuts. Meine Tante hatte über viele Jahrzehnte immer einen Hund. Jetzt nicht mehr, damit sie ein bisschen einfacher reisen kann. Ich fragte meinen Vater, ob er glaubte, dass sie gerne Comics lesen würde. Er bezweifelte das. Als ich ihm dann aber von meiner Idee erzählte, meinte er, dass sie sich bestimmt freuen würde. Also sammelte ich und klebte dann ein dünnes Heftchen mit den Comics voll und schrieb ihr eine Karte, in der sinngemäß stand, dass mein Vater mir zwar gesagt hätte, sie würde keine Comics lesen. Aber dieser hier wäre etwas ganz besonderes. Später rief sie mich an, um sich zu bedanken und sagte mir, dass sie jeden Tag ein oder zwei Seiten lesen würde.

Unsere Tageszeitung hat auf der Titelseite immer ein Zitat passend zu einer der großen Artikel auf der Seite. Einige davon habe ich in den letzten Monaten gesammelt für ein weiteres Heft, das ich zufällig in unserer Wohnung fand vor einiger Zeit. Keiner wollte das Heft mehr haben, aber es war schön klein und rot. Meine Freundin und Kollegin auf der Arbeit mag rot und Sprüche. Das Heft ist gerade groß genug, um einen Spruch auf einer Seite zu haben und die Seiten sind perforiert, dass man sie raustrennen könnte. Also habe ich die letzten Tage jetzt damit verbracht, die Sprüche zu sortieren möglichst passend, dass vorne und hinten auf einer Seite die Sprüche sich in irgendeiner Weise halbwegs ergänzten. Gestern ging ich die Ordnung ein letztes Mal durch und schnitt die Zitate ordentlich zurecht. Viele davon habe ich noch mal raus geschrieben, damit ich die Sprüche auch habe für mich. Ich war gestern bis halb drei morgens wach. Die Zeit verging unbemerkt. Ich hatte deutsch geschrieben und Derren Brown auf englisch im Ohr, wie er sein Buch las. Es muss Hypnose gewesen sein. Abgesehen davon, dass die Zeit so schnell vergangen war, konnte ich mich selbst kurze Zeit später im Bett nicht mehr bewusst erinnern, welche Sprüche ich aufgeschrieben hatte oder was ich von Derren Brown gehöt hatte. Amnesie. Trance ist ein natürliches Phänomen und ich mache mir keine Gedanken darüber, dass ich jetzt von den Sprüchen oder dem Hörbuch kaum etwas bewusst weiß. Es hat Spaß gemacht und vor allem ist das Buch jetzt endlich vor Weihnachten noch fertig geworden. Das ist alles, was zählt.

Ich möchte den Leser allerdings warnen: solche Hefte, auch kleine dünne kosten Zeit und wenn man nicht gerade schon eine große Sprüchesammlung hat, sollte man lange genug im Voraus planen für so ein Geschenk. Ich habe mir bei beiden Heften, die ich gemacht habe bewusst Zeit gelassen. Musste ich ja auch. Die Zeitung kam ja immer nur einmal täglich und nicht immer war ein Spruch oder Comic dabei, den ich gebrauchen konnte. Planungszeitraum: besser Monate im Voraus.

Bis zum nächsten Blog,

sarah

Donnerstag, 13. Dezember 2012

Wenn Schnee draußen ist, denke ich...

Liebe Leserinnen und Leser,

seit einigen Tagen schneit es hier bei uns und wenn Schnee draußen ist, denke ich an zwei Geschichten von Erickson:

Die eine Geschichte findet sich in Sidney Rosens Buch Die Lehrgeschichten von Milton H. Erickson und heißt dort "Gehen auf Glatteis". Während des Krieges war Erickson einmal auf dem Weg zur Arbeit: das Einberufungskomitee. Auf dem Weg dort hin sah er einen Veteranen, der ein künstliches Bein hatte und sichtlich besorgt schien, vor sich ein überfrorenes Wegstück zu haben, wo er rüber gehen müsste. Der Mann befürchtete auszurutschen und zu fallen. Erickson sagte ihm, er solle bleiben wo er sei. Er würde zu ihm kommen und zeigen, wie man auf spiegelglattem Eis gehen könnte. Also kam Erickson herüber und der Mann konnte sehen, dass Erickson humpelte. Er war also nicht einfach nur ein Schwätzer. Erickson sagte dem Mann, er sollte die Augen zu machen und Erickson ließ ihn vor und zurück, hin und her gehen, bis der Mann völlig verwirrt war. Dann brachte Erickson den Mann auf die sichere andere Seite vom Eis und der Mann sollte die Augen wieder öffnen. Er war überrascht, dass das Eis hinter ihm war und hatte keine Vorstellung davon, wie er herüber gekommen war auf die andere Seite.
Erickson erklärte ihm: "Sie gingen so, als ob der Beton eisfrei wäre. Wenn man versucht, auf Eis zu gehen, spannt man normalerweise die Muskeln an und bereitet sich auf einen Sturz vor. Sie machen sich ein geistiges Bild davon. Und so fallen Sie hin. Wenn sie das Gewicht Ihrer Beine gerade nach unten verlagern, so wie man das auf trockenem Beton macht, fallen Sie nicht. Das Ausrutschen passiert, weil man nicht sein ganzes Gewicht nach unten verlagert un weil man sich verkrampft."

Die zweite Anekdote findet Erwähnung unter anderem in dem Buch "Hypnotic Realities: The Induction of Clinical Hypnosis and Forms of Indirect Suggestion" von Milton H. Erickson, Ernest L. Rossi und Sheila I. Rossi. Erickson ging als Kind, wenn es geschneit hatte sehr zeitig zur Schule. Auf dem Weg hinterließ er einen krummen Pfad. Auf dem Rückweg dann beobachtete er mit Freude, dass die anderen Schüler und Passanten keinen geraden Weg gingen, obwohl jeder wusste, dass der Weg gerade sein müsste. Sie folgten alle Ericksons Spuren vom krummen Weg im Schnee.

Bis zum nächsten Blog,

sarah

Mittwoch, 5. Dezember 2012

Der purpurne Zauberer aus der Wüste

Liebe Leserinnen und Leser,

heute ist ein großer Tag. Ich löse endlich meine Ankündigung ein, über Milton Erickson zu schreiben. Er wurde am 5. Dezember 1901 in Aurum, Nevada geboren. Sein Geburtstag schien mir angemessener statt des Todestages: 25. März 1980 in Phoenix, Arizona.

Erickson wuchs als Kind einer Bauernfamilie auf mit 7 Schwestern und nur 1 Bruder. Erickson ließ sich Zeit, mit dem Sprechen anzufangen als Kind. Seine Mutter nahm es gelassen: "Wenn die Zeit kommt, wird er sprechen." Mit 4 Jahren fing er dann auch an. Er tat sich in der Schule aber erst sehr schwer. Ein Wörterbuch las er nicht, indem er es wenigstens bei dem Anfangsbuchstaben des Wortes, was er suchte aufschlug, sondern er fing tatsächlich bei "a" an und las, bis er bei dem Buchstaben und Wort ankam, was er eigentlich suchte. Das brachte ihm den Spitznamen "Dictionary" (Wörterbuch) ein. Er war Legasteniker.

1919 machte er seinen Abschluss an der Highschool und man fürchtete, dass das das Ende für ihn war. Erickson hatte eine Polioinfektion (Kinderlähmung, seine erste) bekommen, war völlig gelähmt und hörte im Nebenzimmer, wie der Arzt seiner Mutter sagte: "Der Junge wird den Morgen nicht erleben." Erickson fand heraus, dass er ein Auge mit größter Anstrengung kontrolliert bewegen konnte und verbrachte etliche Stunden damit, die Aufmerksamkeit seiner Mutter zu bekommen und ihr durch Augenbewegungen zu verstehen zu geben, dass er eine Kommode in seinem Zimmer anders gestellt haben wollte. Was er ihr nicht sagen konnte: die Kommode versperrte ihm die Sicht und er wollte nicht sterben, ohne den Sonnenuntergang gesehen zu haben. Er bekam ihn aber nicht ganz mit, denn er war für 3 Tage bewusstlos.

Er musste alles neu lernen. Seine jüngste Schwester war gerade in dem Alter, wo sie selbst laufen lernte, so dass er es sich bei ihr abschauen und dieses Mal bewusst lernen konnte. Erickson selbst bezeichnete die Polioinfektion einmal als "unheimlichen Vorteil". Schon als er krank war und sich nicht bewegen konnte, studierte er seine Familie und andere Anwesende im Haus. Er fand heraus, dass seine Geschwister "ja" sagen, aber "nein" meinen oder auch "nein" sagen, aber "ja" meinen konnten. So sammelte er elementare Erfahrungen in genauer Beobachtung, Ausdruck und Körpersprache. Als er dann wieder halbwegs laufen konnte, wollte er eine Kanu-Tour mit einem Freund machen. Glücklicherweise war seine Familie nicht bei der Abreise dabei, denn kurzfristig sagte der Freund ab. Ich denke nicht, dass seine Familie ihn alleine hätte fahren lassen. Wenn Erickson das Boot umsetzen musste, brauchte er Hilfe. Aber er machte es sich zu einem Experiment der Reise, niemals direkt um Hilfe zu bitten sondern immer Situationen zu schaffen, dass die anderen ihn fragten oder Hilfe anboten. So kam es öfters vor, dass er da saß und Deutsch-Vokabeln für sein Medizinstudium lernte, bis jemand vorbei kam.

Schon als Student interessierte er sich für Hypnose und arbeitete zunächst in Krankenhäusern, in der Psychiatrie. Sein Chef sagte ihm einmal, dass der Gehstock, den Erickson benutzen musste zum Laufen, hilfreich sei und sympathisch machte sowohl bei Patienten als auch Kollegen. Die weiblichen Patientinnen sehen in einem Mann mit Gehstock keine Bedrohung und die männlichen Kollegen keine ernsthafte Konkurrenz. 1947 stürzte er unglücklich mit dem Fahrrad und obwohl er ansonsten gegen Impfungen war, ließ er sich eine Tetanusimpfung geben. Er bekam einen anaphylaktischen Schock, überlebte nur knapp und hatte seither Pollenallergien. Das war auch der Grund, warum er letztlich aufhörte in Krankenhäusern zu arbeiten und nach Phoenix zog, wo das Wüstenklima zumindest angenehmer war, was seine Allergien anging.

1953 kam ein Post-Polio-Syndrom zu seinen Beschwerden. Er arbeitete intensiv mit vielen bekannten Therapeuten zusammen, unter anderem Jay Haley, Gregory Bateson, Margaret Mead. John Grinder und Richard Bandler, die das Neuro-Linguistische Programmieren (NLP) entwickelten, analysierten und nutzten Ericksons hypnotische Sprachmuster. Mein Freund John ist da eine Methode, die ich bereits in anderen Einträgen erwähnte.

Wie man vielleicht schon an meinem, diesen Eintrag hier merkt, gibt es viele Geschichten um Erickson. Selbst wenn ich die nächsten Einträge verwenden würde, um einige dieser Geschichten wieder zu geben, bräuchte es seine Zeit. Erickson war ein genialer Geschichtenerzähler. Aber er erzählte nicht einfach nur so zur Unterhaltung, sondern immer auch um indirekt zu helfen und zu heilen.

Viele Leute früher und heute kennen Erickson vor allem aus seinen späten Jahren, als er halbseitig gelähmt im Rollstuhl saß, schwerhörig war und alles doppelt sah und unter chronischen Schmerzen litt. Es ist beeindruckend in selbst nur auf kurzen youtube Videos zu sehen. Alleine dort merkt man, dass er vor Lebensfreude und Lebensenergie sprühte trotz (oder gerade wegen?) seiner vielen Leiden. Ich denke, seine offensichtlichen körperlichen Probleme machten ihn auch glaubwürdiger vor seinen Patienten. Wem würdet ihr mehr glauben, dass Schmerzkontrolle wirklich möglich ist: wenn ein scheinbar junger, gesunder, dynamischer Arzt euch davon erzählt, oder einem kränklichen älteren Mann im Rollstuhl? ;-)

Das sind nur einige wenige Aspekte aus Ericksons Leben und Wirken. Viele Geschichten und andere Aspekte, die ich weiß und die mir beim Schreiben teilweise auch einfielen, habe ich aus gelassen. Ein einziger Eintrag reicht längst nicht.

Wer einmal mehr über Erickson erfahren möchte, dem empfehle ich wärmstens Sidney Rosens Sammlung von Ericksons Geschichten Die Lehrgeschichten von Milton H. Erickson. Wer einmal einen kleinen Eindruck haben will, wie Erickson mit Schülern umging, dem empfehle ich das 5-Tage-Seminar, das sein Schüler Jeffrey Zeig aufgezeichnet hat. Die schriftliche Fassung ist nachzulesen in Meine Stimme begleitet Sie überallhin. Ein Lehrseminar mit Milton H. Erickson. Wer noch mehr Fragen hat oder Anregungen haben möchte, kann mir gerne schreiben. Für's erste soll es das gewesen sein, euch Erickson vorzustellen. Ich bin sicher, dieser Eintrag hier wird aber nicht der letzte sein, in dem er Erwähnung findet.

Bis zum nächsten Blog,

sarah